Freitag, 13. Juli 2012

Schengen: Selbstbewusstes EU-Parlament zeigt dem Europäischen Rat die Rote Karte

Wikimedia Commons: Denkmal für das Schengener Abkommen in Schengen, Luxemburg
Nach einer intensiven Debatte hat das Präsidium des Europäischen Parlaments (Fraktionsvorsitzende und Parlamentspräsident) selbstbewusst entschieden, die Zusammenarbeit des Parlaments mit dem Rat der Europäischen Union bei fünf Gesetzesinitiativen auszusetzen bis eine Einigung über die Reform des Schengen-Paktes erzielt wurde. 

Seit dem 7. Juni 2012 wollen nämlich die europäischen Innenminister Entscheidungen, die den Schengenraum betreffen, ohne das Europäische Parlament und die Kommission treffen. Der Schengenraum ohne Kontrollen (Schengener Übereinkommen 14. Juni 1985) ist die unmittelbar spürbarste Einigung Europas für seine Bürger.

Rat. Der Rat der Europäischen Union (oft auch EU-Ministerrat) ist ein Organ der Europäischen Union. Im politischen System der EU übt er zusammen mit dem Parlament die Rechtsetzung der Europäischen Union aus. Da er die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten repräsentiert, kann er neben dem Europäischen Parlament als Bürgerkammer als die Staatenkammer ("Bundesra") der EU bezeichnet werden.

Boykott. Die Entscheidung des Präsidiums betrifft fünf Themenbereiche:

  • des Schengener Grenzkodex und des Schengener Durchführungsübereinkommen (Berichterstatter Georgios Papanikolaou)
  • Zusammenarbeit der Justizbehörden in Strafsachen: Vorgehen gegen Angriffe auf Informationssysteme (Berichterstatterin Monika Hohlmeier)
  • Europäische Ermittlungsanordnung (Berichterstatter Nuno Melo)
  • Aspekte des Haushalts 2013 mit Bezug auf innere Sicherheit
  • EU Passagiernamensregister (Berichterstatter Timothy Kirkhope)

Das Präsidium beschloss auch, die Tagesordnung der Sitzungswoche im Juli zu ändern und den Bericht des Abgeordneten Carlos Coelho zur Schengen-Evaluierung und Überwachung sowie den Bericht von Renate Weber zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen erst später zu behandeln.

Ablenkung  von der Krise oder Missbrauch der Krise. Parlamentspräsident Martin Schulz erklärte: "Noch nie wurde während eines Gesetzgebungsprozess eine der beiden Legislativkammern von der anderen ausgeschlossen. Der vom Rat für Justiz und Inneres am 7. Juni gewählte Weg ist ein Schlag ins Gesicht für die parlamentarische Demokratie und für die gewählten Vertreter der europäischen Bürger inakzeptabel. Deshalb sieht sich das Präsidium gezwungen, solche drastischen Maßnahmen zu ergreifen."

Das Parlament gab auch im Plenum Rat und Kommission einen Rüffel. Der Franzose Joseph Daul, Vorsitzender der  Christdemokraten, nannte die Entscheidung "völlig inakzeptabel". Der Vorsitzende der Sozialdemokraten Hannes Swoboda warnte den Ministerrat davor, dem Rechtspopulismus Tür und Tor zu öffnen. Das Parlament werde "alle politischen und rechtlichen Mittel ergreifen", um dies zu verhindern. Unterstützung erhielt er in diesem Punkt auch vom Fraktionsvorsitzenden der Liberaldemokraten Guy Verhofstadt aus Belgien. Die deutsche Grünenvorsitzende Rebecca Harms warf den EU-Regierungen vor, Schengen lediglich dafür zu missbrauchen, die Aufmerksamkeit der EU-Bürger von der Krise abzulenken. Für die Fraktion der Linken (GUE/NGL) sprach die Deutsche Cornelia Ernst von einem verachtenswerten, antidemokratischen and antieuropäischen Schritt.

Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malström drückte "klare Enttäuschung" über die Entscheidung der Innenminister aus und bemerkte: "Ich bin überzeugt, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist".

Rechtspopulismus. Der britische Abgeordnete der EKR-Fraktion Anthea McIntyre zeigte sich zwar überrascht von der Entscheidung des Ministerrates, bezeichnete die Proteste seiner Kollegen aber als "kindischen Wutanfall". Fragen der nationalen Sicherheit seien weiterhin "alleinige Kompetenz der Mitgliedsstaaten". Auch der fraktionslose Abgeordnete Auke Zijlstra aus den Niederlanden erklärte, der Plan der Innenminister sei angemessen.

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